Rezension: Splitterfasernackt

Lilly Lindner – Splitterfasernackt

Splitterfasernackt

  • Verlag: Knaur
  • Seitenzahl: 394
  • Teil einer Reihe?: Nein, allerdings gibt es noch eine Fortsetzung ihrer Autobiografie mit dem Titel „Winterwassertief“.
  • Inhalt: Lilly schreibt ihre eigene Lebensgeschichte schonungslos mit sich selbst und auch dem Leser auf, atemlos das Erleben und der Stil: es ist die Geschichte eines vergewaltigten, verwahrlosten, verkauften Lebens: Mit sechs Jahren wird sie regelmäßig vom Nachbarn vergewaltigt. Da er droht, ihr das Schlimmste anzutun, wenn sie sich ihren Eltern anvertraut, schweigt sie. Ihre Eltern sind für sie sowieso keine emotionale Zuflucht, der Vater ist desinteressiert beschwichtigend, die Mutter hasst und liebt sie. Als der Nachbar wegzieht, hat Lilly nicht nur eine gestohlene Kindheit hinter sich, sondern ihr ganzes Leben ist total „unlebbar“ geworden. Mit 13 wird sie magersüchtig und ordnet dem Hungern alles unter, weil es das einzige ist, was sie kann. Sie kann nicht lieben, vertrauen, hoffen, sehnen, nur den „Hungerschmerz“ auskosten. Später verkauft sie ihren Körper in einem Bordell, da hat sie schon lange kein „Körpergefühl“ mehr. Sex ist für sie nur ein Spiel für Gewinner und sie hat ihren Einsatz schon mit 6 Jahren verloren. Nur bezahlter Sex ist einschätzbar, freier Sex, freiwilliger, ist für sie zutiefst verunsichernd und beängstigend. Im Bordell beginnt sie ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben und zu verarbeiten. Herausgekommen ist ein beklemmendes, beindruckendes Buch mit sehr eigenem Stil.
  • Rezension: Die Geschichte ist schockierend, sehr berührend und ziemlich einzigartig, leider nicht ungewöhnlich. Wie muss es all den Kindern und Frauen gehen, die vergewaltigt wurden und kein Ventil wie das Schreiben finden? „Vergewaltigung kann man nie vergessen“ sagt Lilly und beschreibt, wie sie sich aus der realen Welt zurückzieht in eine eigene, sie erfindet Ana und Mia (von Anorexie nervosa und Bulimia) und redet mit ihnen auch mit Gegenständen. Gleichzeitig schildert sie unglaublich abständig ihre eignen Erkenntnisse darüber , warum und wie sie handelt. Das Buch ist ein tiefer Einblick in ein total fremdbestimmtes Leben, Gott sei Dank mit einem kleinen Lichtblick am Horizont, wenn Lilly sich zum ersten Mal fallen lassen kann ohne Fluchtgedanken bei ihrem großartigen Freund Chase. Dem – und ihrer Freundin Lady – legt Lilly viele Erklärungen zu ihrem Verhalten in den Mund, die sehr scharfsinnig sind. So berichtet er in einem intimen Moment, dass er sie verstanden hat durch ihr Schweigen, durch ihre Stille, die sehr viel beredeter war als ihr Aufschreien. Und Lady erzählt ihr so vielsagende Sätze wie: Du kannst dich sieben Tage in eine Garage stellen und wirst doch kein Auto! Auch wenn der Stil einzigartig ist, hat mich zunehmend die Wiederholung der Zerlegung bestimmter Satzmuster in Einzelsegmente gestört. Auch die ständige „Fremdbewunderung“ ihres Körpers und Aussehens durch ihre Freier ging mir manchmal auf die Nerven, auch wenn es nachvollziehbar ist, die Eigenwahrnehmung auf diese Weise zu korrigieren. Vielen Dank an das Team vom Knaur Verlag, der mir diese Buch freundlicherweise als Rezensionsexemplar zur Verfügung gesellt haben.
  • Bewertung: 4 Sterne
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Über Zorro

Ich heiße Angelika Zörnig, bin Jahrgang 1948 und liebe Bücher und "Mon Cherie". Diese Kombination ist unschlagbar, besonders wenn es sich um Biografien, Familienromane, Psychodramen, Kurzgeschichten, Novellen und Lyrik handelt. Ansonsten gehe ich leidenschaftlich gern ins Theater und ins Kino oder beschäftige mich mit Märchenerzählen. Ich arbeite als Honorarkraft an einer Hamburger Grundschule. In dieser schönsten Stadt der Welt bin ich auch geboren und habe den größten Teil meines Lebens dort verbracht. Die Rezensionen werden von Stephi abgetippt.

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