Rezension: Die zweite Fremde

Christoph W. Bauer – Die zweite Fremde. Zehn jüdische Lebensbilder

Die zweite Fremde

  • Verlag: Haymon
  • Seitenzahl: 176
  • Teil einer Reihe?: Nein
  • Inhalt: Erzählt werden 10 Schicksale der letzten noch lebenden Juden, die 1938 aus Wien und Innsbruck zur Zeit der Machtübernahme Hitlers fliehen mussten und in England und Israel eine neue Heimat fanden. Christoph W. Bauer verfolgt die Lebenswege von der Vertreibung bis in die Gegenwart. Die Interviews werden auf Film- und Tondokumenten festgehalten und später in Form von Berichten mit Originalaussagen und persönlichen Fotos niedergeschrieben. Die Vertriebenen kennen sich zum Teil untereinander oder sind weitläufig miteinander verwandt. Trotzdem halten sie keinen regelmäßigen Kontakt zueinander.
  • Rezension:  Die zehn Interviews sind formal alle gleich aufgebaut: Das Kapitel beginnt mit einem ganzseitigen Portrait, dann folgt der Bericht, angereichert mit Originalzitaten und Familienfotos und abschließend eine kleine Plauderei des Autors über seinen Besuch. Spätestens nach der Hälfte des Buches fängt der gleichförmige Aufbau an zu ermüden, auch weil die Sprache eher emotions- und schnörkellos ist. Die Schicksale „plätschern“ ein wenig dahin, was mir angesichts des erlebten Grauens unangemessen erscheint, immerhin sind es Kinder und Jugendliche, die Mord, Denunziation, Angst, Verlassenheit und Vertreibung aus bekannten Welten erleben müssen. Spannend zu erfahren sind allerdings die unterschiedlichen Erinnerungsweisen, die Verarbeitungsstrategien und das Einrichten in der neuen Heimat. Über den Begriff „Heimat“ wird viel nachgedacht und Persönliches erzählt. Zwischen „Ein Punkt auf der Landkarte“ und dem Cicero Zitat “ Uni bene ivi patria“ (Wo es mir gutgeht, da ist mein Vaterland.) kommen noch zahlreiche interessante Interpretationen zur Sprache. Informativ ist auch zu erfahren, wie die Jugend erlebt wurde, wie Flucht und Vertreibung verarbeitet oder verdrängt werden (eine Frau berichtet beispielsweise auch von Abenteuergefühlen, da sie zum ersten Mal al 14-jährige ohne Eltern in ein fremdes Land fahren sollte und schämt sich für diese Gedanken) und wie sich aus der Ferne die Gefühle zur alten Heimat entwickeln. (Das schwankt zwischen Rückkehrvorbereitungen und „no-way!“.) Abschließend kann ich sagen, dass das Buch inhaltlich interessante Einblicke in das Leben von Vertriebenen gibt. Der latenten Monotonie der Erzählweise kann man vielleicht entgehen, wenn man die Kapitel portionsweise und nicht hintereinander weg liest. Dann ist das Buch durchaus empfehlenswert, zweigt es uns doch auch wie man vom Opferstatus in eine selbstgestaltete Lebensgeschichte wechseln kann. Vielen Dank an den Haymon Verlag, der mir dieses Buch freundlicherweise als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat.
  • Bewertung: 4 Sterne
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Über Stephi

Mein Name ist Stephi Hermann, ich bin Mama von zwei wundervollen Kindern , komme aus Hamburg, bin 40 Jahre alt und liebe Bücher über alles :-). Am liebsten lese ich sie gemütlich in meiner Hängematte in der Sonne oder mit leckerer Schokolade auf dem Sofa. Dabei mag ich es, wenn mich die Bücher in immer neue Welten entführen, egal ob sie in der echten Welt oder in der Phantasie spielen, sie eher romantisch sind oder mir beim Lesen eine Gänsehaut über den Rücken laufen lassen. Die Mischung macht´s. Deshalb lese ich nicht nur Bücher für Erwachsene, sondern sehr gerne auch Bücher für Jugendliche und Kinder.

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